PROJEKTBESCHREIBUNG
Heritage ist nicht gleich Heritage. Seit rund zwei Jahrzehnten wird diskutiert, ob unter Kulturerbe mehr als nur eine mehr oder weniger positive Metapher zu verstehen ist, wie man sie vor allem aus der Welterbe-Konvention der UNESCO herauslesen kann. Heritage ist zweifellos auch schwierig, dunkel, umstritten und unbequem (difficult/dark/dissonant/uncomfortable heritage). Es verweist zudem vielfach auf Ereignisse, an die man nicht gerne erinnert werden möchte – dazu zählen auch die NS-Großbauten und in deren Umfeld die sogenannten ‚Thingstätten‘ (Freilichtbühnen). Sie sind heute noch vielerorts begehbar, haben bisher aber weder in der erinnerungskulturellen Debatte der letzten Jahrzehnte noch in der kulturwissenschaftlichen Forschung irgendeine Beachtung gefunden.
Blick von den Zuschauerrängen auf die Bühne der von den Nationalsozialisten 1934/35 erbauten Thingstätte auf dem Heiligenberg bei Heidelberg (Foto: Stefanie Samida).
Mitte der 1930er war geplant, ca. 400 solcher Plätze im gesamten Deutschen Reich zu errichten; fertiggestellt wurden letztlich knapp über 30 Stätten. Ziel der sogenannten ‚Thing-Bewegung‘ war die Propagierung und Festigung der ‚Volksgemeinschaft‘ (durch massenhafte Beteiligung der Bevölkerung). Viele dieser Thingplätze haben die Zeit überdauert; man findet sie heute noch in recht gutem Zustand. Sie werden als Bühnen für Veranstaltungen ganz unterschiedlicher Art genutzt (z. B. die Dietrich-Eckart-Freilichtbühne in Berlin, heute unter der Bezeichnung „Waldbühne“ bekannt) und finden Eingang in (populär-)kulturelle Kontexte. Die auf dem Heiligenberg bei Heidelberg gelegene Thingstätte veranschaulicht pars pro toto für alle anderen erhaltenen Plätze, dass diese bisher weder kultur- noch geschichtsdidaktisch erschlossen sind. Sie wurden, wie viele ähnliche NS-Bauten – bewusst oder unbewusst – ‚vergessen‘. Dabei bietet dieses Feld eine Reihe von Fragen, die eine interdisziplinäre Kulturerbe-Forschung angehen muss: Welches Wissen bzw. welche Geschichten über und welchen Umgang mit diesen Orten gibt es? Wo liegen ggf. Spannungsfelder? Warum sollten sie erhalten werden? Werden sie als kulturelles Erbe wahrgenommen oder sind sie womöglich nicht mehr als romantisch anmutende Ruinen im Grünen? Welche Akteure nutzen diese Orte und warum? Welches Wissen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird im praktischen Umgang mit diesen Orten produziert? Ist die touristische bzw. populärkulturelle Nutzung per se zu kritisieren und ausschließlich kulturpessimistisch zu deuten? Oder führt sie vielleicht nicht gerade auch dazu, sich auf verschiedenen Ebenen mit dem kulturell ‚Fremden‘ – und auch das ‚Dritte Reich‘ wird für uns zunehmend ‚fremder’ – zu beschäftigen?
Das sind Fragen, die nicht nur aus kulturwissenschaftlicher Perspektive interessant sind, sondern gerade auch für das Historische Lernen fruchtbar gemacht werden können.
PUBLIKATIONEN
- Stefanie Samida: Bodendenkmale und Freilichtmuseen als Lernorte. In: Blickpunkt Archäologie 2016, H. 4 [Themenschwerpunkt: Archäologie und Schule], 257–262.
- Stefanie Samida, Archäologische Erinnerungsorte: Anmerkungen zu einem historisch-kulturwissenschaftlichen Konzept. Blickpunkt Archäologie 2017, H. 1, 15–17.
- Stefanie Samida, Kulturelles Erbe und kulturelle Bildung: Einleitung. In: Historische Sozialkunde 2018, H. 2 [Themenschwerpunkt: Kulturelles Erbe], 3–7.
WORKSHOPS
- 9/2017: Durchführung des Villa Vigoni-Gesprächs „Dark Heritage: Diachrone und synchrone Betrachtungen zum Umgang mit unbequemen Kulturerbe“ (beantragt und organisiert mit Filippo Carlà-Uhink, PH Heidelberg und Waltraud Kofler Engl, Denkmalamt Bozen)