FOKUS: Forschungsorientiertes Seminar zur Klassenführung anhand von Videos

KATHRIN DING

Kathrin Ding
  • Diplom-Pädagogin, Lehrerin für Grund- und Hauptschule in den Fächern Geschichte und Mathematik
  • Teilzeitabordnung im Projekt PLACE vom 01.10.2018–31.08.2019

ABSCHLUSSBERICHT

RELEVANZ DES PROJEKTS FÜR DIE LEHRERBILDUNG

Der Umgang mit Unterrichtsstörungen gehört für viele Lehrkräfte zu den Hauptbelastungen ihres Berufs (Ksienzyk & Schaarschmidt, 2004). Aus meiner eigenen Berufsbiografie weiß ich, dass sowohl während der ersten Unterrichtsstunden in den Praktika, aber auch im Referendariat eine effiziente Klassenführung eine besondere Herausforderung darstellt und diese Aufgabe ein Berufsleben lang bestehen bleibt. Da eine effiziente Klassenführung erlernbar ist (Hellermann, Gold & Holodynski, 2015; Kumschick et al., 2017), ist dieses Thema bereits im Lehramtsstudium von großer Bedeutung.

KLASSENFÜHRUNG ANHAND VON UNTERRICHTSVIDEOS THEMATISIEREN

Vor diesem Hintergrund hatte ich ein in den Bildungswissenschaften verortetes, schularten- und fächerübergreifendes Hochschulseminar entwickelt und durchgeführt, das Aspekte der Klassenführung anhand von Unterrichtsvideos thematisiert. Die Videos ermöglichen es, die „professionelle Wahrnehmung von lern- und klassenführungsrelevanten Unterrichtsereignissen“ (Hellermann et al., 2015, S. 97) als wesentliche Voraussetzung einer gelingenden Klassenführung anhand realer Situationen zu schulen. Neben dem inhaltlichen Aspekt der Klassenführung trainieren die Studierenden im Umgang mit Unterrichtsvideos auch allgemein ihre Fähigkeiten in der Unterrichtsbeobachtung, welche ein wichtiges Werkzeug der Unterrichtsentwicklung darstellt (Helmke et al., 2017) und setzen sich forschungsorientiert (Huber, 2009, 2014) mit dem Thema auseinander. Positive Forschungserfahrungen im Studium können das allgemeine Interesse an aktueller Forschung und Weiterbildungen erhöhen und damit auch längerfristig die Bereitschaft zur Kooperation mit Akteuren aus der Wissenschaft anbahnen. Ein solcher Austausch erleichtert zum einen den Transfer aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Klassenzimmer, kann aber auch umgekehrt wichtige Impulse aus der Praxis in die Wissenschaft tragen.

DURCHFÜHRUNG

Nach einer inhaltlichen und methodischen Einführung arbeiteten sich die Studierenden weiter selbstständig in die Thematik ein und entwickelten in Kleingruppen eigene kleine Fragestellungen, die anhand von Unterrichtsvideos beantwortet werden konnten. Im Rahmen des Seminars stellten die Kleingruppen wiederholt ihren aktuellen Arbeitsstand vor. Dabei stand neben den Ergebnissen insbesondere auch der Forschungsprozess im Vordergrund, der unter anderem auch das Diskutieren und Schärfen von Definitionen sowie kleinere „Sackgassen“ und Umwege umfasst.
Gegen Ende des Seminars fanden mehrere Sitzungen im Computerraum statt und beinhalteten eine kurze Einführung in ein Statistikprogramm, das von fast allen Gruppen zur Datenauswertung und Ergebnisdarstellung verwendet wurde.

ERGEBNISSE

Forschungsfragen und Ergebnisse der Studierenden waren beispielsweise:

  • Unterscheidet sich die Unaufmerksamkeit der Schüler am Anfang und am Ende einer Stunde?

    Die Unaufmerksamkeit war am Ende der Stunde etwas höher, die Unterschiede waren jedoch nicht signifikant.

  • Sind die Schülerinnen und Schüler aufmerksamer, wenn eine Mitschülerin bzw. ein Mitschüler redet als wenn die Lehrpersonen redet?

    Die Schülerinnen und Schüler waren aufmerksamer, wenn die Lehrperson redete, die Unterschiede waren allerdings nicht signifikant. Generell zeigten Mädchen mehr Indikatoren für Aufmerksamkeit als Jungen.

REFLEXION

Aus organisatorischen und datenschutzrechtlichen Gründen wurden bereits aufgezeichnete Videos der Westfälische  Wilhelms-Universität (WWU) Münster verwendet, die für die Verwendung im Rahmen der Lehrerbildung genutzt werden dürfen (www.uni-muenster.de/koviu und www.uni-muenster.de/ProVision). Dies hatte neben vielen organisatorischen Vorteilen den Nachteil, dass keine zusätzlichen Daten (wie z. B. Leistungsdaten) erhoben werden konnten und die Forschungsfragen entsprechend pragmatisch den Möglichkeiten angepasst werden mussten.
Eine Herausforderung stellte für manche Studierende die relativ große Offenheit des Seminars trotz vielfältiger Unterstützungsangebote dar, wie etwa das Finden einer Forschungsfrage oder die Wahl der Videos.
Positiv wurde das Durchleben des gesamten Forschungsprozesses von den Studierenden rückgemeldet. Voraussetzung hierfür waren ausreichend Zeit und Freiräume sowie ein offener Umgang mit Unsicherheiten und Herausforderungen. Ein Vorteil war hierbei sicherlich die Entkoppelung der Forschungsprojekte von der Benotung, die über eine Klausur organisiert war.  

Insgesamt war die PLACE-Abordnung eine wunderbare Möglichkeit, sich vertiefend in ein neues Thema einarbeiten und ein besonderes Lehrformat anbieten zu können, dessen erstmalige Vorbereitung  und Betreuung zu zeitaufwändig für den normalen Alltag gewesen wäre. 

LITERATUR

  • Hellermann, C., Gold, B. & Holodynski, M. (2015). Förderung von Klassenführungsfähigkeiten im Lehramtsstudium. Die Wirkung der Analyse eigener und fremder Unterrichtsvideos auf das strategische Wissen und die professionelle Wahrnehmung. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und pädagogische Psychologie, 47, 97–109.
  • Helmke, A. (2014). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts (5. überarbeitete Aufl.). Seelze: Klett-Kallmeyer.
  • Huber, L. (2009). Warum Forschendes Lernen nötig und möglich ist. In L. Huber, J. Hellmer, & F. Schneider (Hrsg.), Forschendes Lernen im Studium: aktuelle Konzepte und Erfahrungen (S. 9-35). Bielefeld: UVW.
  • Huber, L. (2014). Forschungsbasiertes, Forschungsorientiertes, Forschendes Lernen: Alles dasselbe? Ein Plädoyer für eine Verständigung über Begriffe und Entscheidungen im Feld forschungsnahen Lehrens und Lernens. Das Hochschulwesen, 62, 32-39.
  • Ksienzyk, B. & Schaarschmidt, U. (2004). Beanspruchung und schulische Arbeitsbedingungen. In U. Schaarschmidt, Halbtagsjobber? Psychische Gesundheit im Lehrerberuf – Analyse eines veränderungsbedürftigen Zustandes (S. 77–87). Weinheim: Beltz.
  • Kumschick, I. R., Piwowar, V., Ophardt, D., Barth, V., Krysmanski, K., & Thiel, F. (2017). Optimierung einer videobasierten Lerngelegenheit im Problem Based Learning Format durch Cognitive Tools. Eine Interventionsstudie mit Lehramtsstudierenden. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 20, 93–113.