Freiheit vom Hier und Selbst – Virtual Reality

PROJEKTBESCHREIBUNG

Das Erleben der Immersion mittels VR-Brillen ermöglicht neue Perspektiven im Hinblick auf die Vermittlung digitaler Inhalte und bietet Anlässe zur Diskussion über Aspekte der Wirklichkeitskonstruktion und Identität im Zeitalter der virtuellen Realität. Die Nutzung von VR-Medien ist relativ einfach und intuitiv. Der immersive und empathische Charakter von Gestaltungs-Apps wie „Tilt Brush“ unterstützt die Motivation und sorgt für Spaß bei der inhaltlichen und konzeptionellen Auseinandersetzung.

VR: SIEGESZUG EINER ALTEN IDEE

Virtuelle Realität ist keine neue Erfindung, dennoch wird das Jahr 2016 als Startpunkt der Virtual Reality betrachtet. Zwar werden VR-Techniken schon seit Jahren beispielsweise in der Industrie (Entwicklung virtueller Prototypen, Produktionsplanungen oder virtuelles Training in Simulatoren) entwickelt und eingesetzt, aber seit 2016/2017 gibt es erstmals VR-Technologien, die soweit technisch ausgereift sind, dass sie massenkompatibel und vermarktungsfähig sind. Sie basieren auf sogenannten Head-Mounted-Displays (HMD), d. h. modernen Videobrillen, die am Kopf des Benutzers mit Halterungen befestigt werden. Mit der Vermarktung der Geräte und entsprechender Apps steht das Themengebiet Virtual Reality in der Wahrnehmung einer breiteren Öffentlichkeit.

KÜNSTLERISCHE BILDUNG IN VIRTUELLER KULTUR

Die Kunstpädagogik ist kein Schrittmacher der Digitalisierung, dennoch bietet sie in ihrer fachlichen Tradition durchaus Kompetenzbereiche, die in einer digitalisierten Kultur bedeutsam sind. Kunstpädagogik widmet sich dem Bild und setzt sich mit Bildfragen, dem Umgang mit Bildern und einer Orientierung an den umfassenden Dimensionen des Sehens auseinander. Darüber hinaus ist Kunstpädagogik in ihrer Orientierung am künstlerischen Prozess immer eingebunden in die Auseinandersetzung mit Identitätskonstrukten und der Selbstwahrnehmung. Gerade dieser Aspekt ist im Blick auf die relativ neuartige Schnittstelle der virtuellen Realität bedeutsam. Neben den Chancen und Grenzen einer praxisorientierten Anwendung virtueller Technologie muss die Auseinandersetzung mit den Konsequenzen der Immersion und Adaption für das Subjekt stehen. Selbstbild und Wirklichkeitswahrnehmung sind zentrale Aspekte des Bildungsselbstverständnisses, werden aber als klassische bildungstheoretische Bezugspunkte im Kontext einer virtuellen Realität herausgefordert.

Ausgehend von der Annahme, dass Medien immer auch einen strukturellen Zugang zur Welt darstellen und widerspiegeln, stellt die künstlerische Auseinandersetzung mit Medien eine alternative Form des Diskurses über und mit diesen Medien dar. Vergleicht man Medien mit einer zweiten gesellschaftlichen Hülle, dann bezieht sich Medienkunst auf Fragestellungen danach, wie diese Haut durchdrungen und spürbar gemacht werden kann. 

FRAGESTELLUNGEN ZU VR UND KUNST

Im Rahmen des Projekts soll VR aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden: So steht mit der App „Tilt Brush“ ein interessantes VR-Werkzeug zur Verfügung, dessen Einbindungsmöglichkeiten in den Gestaltungsprozess im Rahmen von künstlerischen Studien erprobt werden soll. Daneben stellt der Aspekt der Bild- und Kunstbetrachtung einen bedeutenden Einsatzbereich von VR-Technologien im Bereich der Kunstpädagogik und Kunstgeschichte dar. Hierbei steht die Frage im Vordergrund, welche Vorteile der Einsatz dieses Mediums gegenüber anderen Medien auch fächerübergreifend haben könnte. Künstlerische Lehr- und Lernprozesse sind zudem hochdynamisch: Neben technischen Aspekten soll vor allem aus lehrorganisatorischer Perspektive die Integration der VR-Medien in unterschiedlichen Lehrangeboten im Rahmen des Projekts untersucht werden.

In der medienreflexiven Auseinandersetzung mit virtueller Realität ist die Frage nach der Veränderung unserer Wirklichkeitsvorstellungen durch Virtualisierungsmedien zentral: Die Grundlage von VR ist es, mögliche Welten und Selbstbilder zu repräsentieren und diese durch die subjektive Vermittlung von Präsenz real erscheinen zu lassen. Bestehende Diskussionen über Mediennutzung müssen dahingehend erweitert werden, dass virtuelle Realität sehr viel selbstwirksamer für den Anwender ist, als es andere virtuelle Interaktionsformen bisher waren, da die spürbare körperliche Virtualität neuartig ist. Aus kunstpädagogischer Perspektive bieten sich Ansätze, mit denen virtuelle Realität reflexiv, im Rahmen dekonstruktiver Zugänge, als Ausgangspunkt für die Entwicklung von Haltungen, die über einen reinen Medienkonsum hinausgehen, genutzt werden kann.


LITERATUREMPFEHLUNGEN

  • Buschkühle, Carl-Peter. Künstlerische Bildung – Theorie und Praxis einer künstlerischen Kunstpädagogik. Oberhausen: Athena, 2017.
  • Ehrenberg, Alain. Das erschöpfte Selbst. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2008.
  • Jörissen, Benjamin. Die Frage nach der Wirklichkeit im Zeitalter der Neuen Medien. Bielefeld: transcript, 2007.
  • Madary, Michael und Metzinger, Thomas K. „Real Virtuality: A Code of Ethical Conduct. Recommendations for Good Scientific Practice and the Consumers of VR-Technology.“ Frontiers in Robotics and AI (19.02.2016): 2, https://doi.org/10.3389/frobt.2016.00003.