Lernorte verknüpfen

Diese Handreichung richtet sich vornehmlich an Lehrerinnen und Lehrer, die Interesse an einer projektbasierten Kooperation mit der Universität und/oder weiteren außerschulischen Lernorten haben. Ihr Ziel ist es, Planungen für die projektbasierte Kooperation von Schulen, Universitäten und weiteren außerschulischen Lernorten zu erleichtern.

Sie ist aus der Praxis entwickelt worden; insbesondere die Erfahrungen zweier Projekte, die im Rahmen der Programmlinie ‚Denkwerk‘ der Robert Bosch Stiftung durchgeführt wurden, sind eingeflossen (‚Denkwerk Mittelalter: Schüler erforschen gesellschaftlichen Wandel im Mittelalter‘, Leitung: Prof. Dr. Jörg Peltzer; ‚Begegnungen vor Ort − Verwaltungsgeschichte und NS-Alltag‘, Leitung: Prof. Dr. Cord Arendes). In einem Workshop mit Vertreterinnen und Vertretern von Schulen, der Universität Heidelberg, der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, dem Seminar für Ausbildung und Fortbildung der Lehrkräfte Heidelberg und verschiedener Museen wurden darüber hinaus diese und weitere Erfahrungen der Kooperation von Schule und außerschulischen Lernorten thematisiert und im Hinblick auf die Entwicklung angemessener Formate diskutiert. Auch wenn geisteswissenschaftliche, insbesondere historische Projekte den Hintergrund dieser Gespräche bildeten, versteht sich die Handreichung als Anregung für alle Fächer.

Die Handreichung entstand im Rahmen einer PLACE-Fellowship des Autors an der HSE (2016/17). Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Workshops sei an dieser Stelle für ihr großes Engagement sehr herzlich gedankt.

LERNORTE VERKNÜPFEN

Dreieck, das die Lernorte Schule, Universitäten sowie Museen, Gedenkstätten etc. verbindet
Abbildung 1: Lernorte verknüpfen

Die Schule ist der zentrale und einzig verpflichtende Lernort für Schülerinnen und Schüler. Darüber hinaus gibt es jedoch zahlreiche weitere Lernorte, die eine große Varianz an Bildungsinhalten anbieten, die auch für Schülerinnen und Schüler relevant sein können. Museen, Weltkulturerbe- oder Gedenkstätten, um nur ein paar Beispiele zu nennen, bieten ein reiches Angebot, im Bildungsplan bereits verankerte Themen zu vertiefen oder ganz neue Themenfelder zu erschließen. Universitäten können ebenfalls wichtige Partner sein. Ihre Fachleute und ihre Sammlungen (lebenswissenschaftlich, naturwissenschaftlich, geisteswissenschaftlich) können einen stimulierenden und vertiefenden Beitrag zur Bildung der Schülerinnen und Schüler leisten. Die (mindestens) Dreieckskonstellation schafft eine neue Lehr-Lernumgebung, die das Verhältnis Lehrer/in–Schüler/in neu konfiguriert.


NEUE LEHR- UND LERNUMGEBUNG

Dreieck, das vertieftes Lernen an den Lernorten Schule, Universitäten sowie Museen, Gedenkstätten etc. visualisiert und die Vorteile „Expert:innenwissen“ und „Neue Perspektiven“ sichtbar macht
Abbildung 2: Vertieftes und experimentelles Lernen

Lehren und Lernen wird anders gestaltet und erfahren als in der Schule. Darüber hinaus profitieren beide Gruppen vom Expert/innenwissen der Fachleute und deren Arbeitsumgebungen, wie zum Beispiel der Arbeit an Objekten in Museen. Inhalte lassen sich auf diese Art und Weise in einer Intensität erarbeiten, wie dies in der Schule selbst kaum möglich ist. Schließlich werden die Schülerinnen und Schüler mit möglichen Berufsfeldern
in Kontakt gebracht und lernen die praktische Relevanz ihres Tuns kennen.
Dieser berufsorientierende Aspekt ist auch für die außerschulischen Lernorte von Bedeutung. Das gilt gerade für die kleineren, weniger bekannten Fächer der Universitäten und ihre Berufsfelder. Darüber hinaus eröffnet der Blick der Schülerinnen und Schüler den Fachleuten neue Perspektiven auf ihren eigenen Arbeitsbereich. So entwickeln Jugendliche beispielsweise andere Ausstellungskonzepte als Erwachsene.


VORAUSSETZUNGEN

Unabdingbar für eine erfolgreiche Kooperation sind:

A) Klare Zielsetzungen:

  • Was wollen wir erreichen (allgemein)?
  • Was wollen wir am Ende des Projekts zeigen (spezifisch)?

B) Genaue Kenntnis der Situation der Partner:

  • Zeitliche und personelle Verfügbarkeit
  • Räumliche Möglichkeiten

C) Frühzeitige Planung


BRÜCKEN SCHLAGEN – DREI VARIANTEN DER KOOPERATION

Schnupperkurs Projektwochen Intensivkurs
Eintägige Veranstaltungen Einwöchige Veranstaltungen/ schulbegleitende Blöcke über längeren Zeitraum verteilt Wöchentliche Arbeitstreffen
Interesse wecken Erarbeitung kleinerer Projekte Erarbeitung größerer Projekte
Kontakte knüpfen   Ggf. Einübung wissenschaftlicher Arbeitsweisen

SCHNUPPERKURS

Dauer 2h–1 Tag. ggf. mehrere Sitzungen
Zielsetzungen (Auswahl) Expert/innenvortrag zu einem bestimmten Thema; Besuch eines Lernorts (erste
Einblicke in das Thema und eine bestimmte Arbeitsumgebung)
Arbeitsweise der Schülerinnen und Schüler Überwiegend rezeptiv
Geeignete Klassenstufen Alle
Geeignete Schultypen Alle
Räumliche Voraussetzungen (Nähe der Schule zum außerschulischen Lernort) Keine
Einbindung von Studierenden Keine

MERKMALE

  • Geringer Aufwand
  • Organisation von Expert/innenvorträgen
  • Gewinnung erster Lerneindrücke zum Thema

>> Einstiegsformat mit Potenzial zur Entwicklung einer intensiveren Kooperation


Dieses Format fordert relativ geringen Aufwand und ist am einfachsten zu realisieren. In den Schulen wird dieses Format bereits vielfach praktiziert. Es eignet sich vor allem dazu, Expert/innenvorträge zu organisieren und/oder einen bestimmten Lernort zu besuchen und erste Eindrücke von dem dort behandelten Thema sowie der Arbeitsumgebung zu gewinnen. Falls in den Schulen etwas mehr Zeit zur Verfügung steht, kann dieses Format auch auf mehrere Sitzungen erweitert werden, in denen sowohl ein Thema über verschiedene Orte mit verschiedenen Expert/innen entwickelt werden kann (dieses Vorgehen nähert sich an die Projektwochen an), oder in denen verschiedene Themen jeweils durch  Expert/innenvorträge oder Besuche außerschulischer Lernorte angerissen werden. Der Schnupperkurs kann als Einstiegsformat gelten, über das intensivere Kooperationen entwickelt werden können.

PROJEKTWOCHEN

Dauer 1–2 Wochen
Zielsetzungen (Auswahl) Erarbeitung eines Themas
Arbeitsweise der Schülerinnen und Schüler Aktiv und rezeptiv
Geeignete Klassenstufen Alle
Geeignete Schultypen Alle
Räumliche Voraussetzungen (Nähe der Schule zum außerschulischen Lernort) Lernort sollte sich vor Ort befinden
Einbindung von Studierenden In Heidelberg: Möglicherweise im Rahmen des Berufsorientierenden Praktikums (BOP)

MERKMALE

  • Erarbeitung kleinerer Projekte
  • Kurzfristiges Erreichen einer hohen Arbeitsintensität
  • Stimulation aktiver Mitarbeit der Schülerinnen und Schüler

Zu beachten:
Das Fachpersonal steht nicht durchgehend zur Verfügung. Deshalb ist eine rechtzeitige Abstimmung über den Zeitpunkt und die Rolle der Fachleute dringend notwendig.


Dieses Format, das in bereits bestehende Fenster wie mehrtägige Projekttage oder Landschulheimaufenthalte integriert werden könnte, eignet sich gut, kleinere Projekte mit den Schülerinnen und Schülern zu erarbeiten. Das Ziel dieser Projekte sollte klar definiert werden und nach Möglichkeit Dritten vorzeigbar sein. Die Dauer von einer Woche, gegebenenfalls auch schulbegleitend in zwei oder drei Blöcken von mehreren Tagen mit Abschluss beispielsweise bei den Projekttagen, ermöglicht kurzfristig eine hohe Arbeitsintensität und stimuliert das aktive Mitarbeiten der Schülerinnen und Schüler. In der Zusammenarbeit mit dem außerschulischen Lernort ist zu bedenken, dass das dortige Personal nicht durchgehend zur Verfügung steht und keine Gelegenheit hat, sich über längere Zeit mit den spezifischen Anforderungen der Schülerinnen und Schüler vertraut zu machen. Die Zeitpunkte und Formen der Aktivitäten der Fachleute müssen deshalb vorher genau abgestimmt werden. Dies sollte mit deutlichem zeitlichen Vorlauf geschehen. Die Organisation dieses Formats in Blöcken von mehreren Tagen (beispielsweise lange Wochenenden in Kombination mit Projekttagen) ermöglicht die längerfristige Entwicklung des Arbeitens der Schülerinnen und Schüler unter Einbeziehung ihrer Rückmeldungen. An der Universität Heidelberg könnten Studierende gegebenenfalls im Rahmen ihres Berufsorientierenden Praktikums (BOP) eingebunden werden.

INTENSIVKURS

Dauer 0,5–1 Schuljahr; wöchentliche Sitzungen
Zielsetzungen (Auswahl) Eingehende Erarbeitung eines größeren Projekts; öffentliche Präsentation der erreichten Ergebnisse. Möglichkeit des Erlernens wissenschaftlichen Arbeitens
Arbeitsweise der Schülerinnen und Schüler Regelmäßiges, langfristiges Arbeiten mit ggf. wissenschaftlichem Anspruch und einem hohen Grad an Selbstständigkeit
Geeignete Klassenstufen Klassenstufe 7/8–11/12
Geeignete Schultypen Alle, insbesonders für den gymnasialen Seminarkurs geeignet
Räumliche Voraussetzungen (Nähe der Schule zum außerschulischen Lernort) Lernort sollte sich vor Ort befinden
Einbindung von Studierenden In Heidelberg: Möglicherweise im Rahmen des Verschränkungsmoduls des Master of Education (M. Ed.) (begrenzt auf ein Semester)

MERKMALE

  • Gezielter Aufbau des Kurses
  • Erlernen wissenschaftlichen Arbeitens möglich
  • Intensive Reflexionsphasen
  • Öffentliche Präsentation der Ergebnisse
  • Zeit für alle Beteiligten, sich aufeinander einzustellen
  • Großer Lerneffekt für alle Teilnehmenden
  • Fächerübergreifendes Arbeiten möglich
  • Nachhaltige Öffentlichkeitsarbeit der beteiligten Institutionen (langfristige Kooperationen)

Dieses Format bedeutet für alle Partner den im Vergleich zum Schnupperkurs oder den Projektwochen deutlich höheren Aufwand, bietet allerdings auch die größten Potenziale. Die längerfristige Ausrichtung ermöglicht einen gezielten Aufbau des Kurses mit ausreichend Zeit für die Erarbeitung von Grundlagen, darunter gegebenenfalls auch Methoden und Techniken wissenschaftlichen Arbeitens, Phasen intensiver Reflexion und schließlich öffentlicher Präsentation der Ergebnisse. Die Projektbeteiligten aller Partner haben die Chance, sich aufeinander einzustellen, eine gemeinsame Sprache zu finden und gegebenenfalls Veränderungen im Ablauf vorzunehmen. Der Lerneffekt für alle Teilnehmer/innen ist deutlich größer als im Schnupperkurs oder in den Projektwochen. Die Chance, vertiefend  fächerübergreifend zu arbeiten, ist ebenfalls gegeben. Darüber hinaus bestehen sehr gute Möglichkeiten für nachhaltige Öffentlichkeitsarbeit der beteiligten Institutionen. Im Rahmen des Intensivkurses ist es beispielsweise möglich, in Kooperation mit Museen und gegebenenfalls Universität/Pädagogischer Hochschule kleinere Ausstellungen zu konzipieren, zu realisieren und zu bewerben.


MÖGLICHKEITEN DER ORGANISATION

Innerhalb der Schule bieten sich zwei Varianten an, die den Lehrerinnen und Lehrern jeweils die Möglichkeit eröffnen, die anfallenden Stunden auf das eigene Lehrdeputat anrechnen zu lassen:

AG Seminarkurs Gymnasium
  • wöchentlicher Umfang von 2h
  • mögliche Planungsunsicherheit durch Format der freiwilligen Mehrleistung seitens der Schülerinnen und Schüler
  • Neugestaltung/Anpassung der Kriterien für Notengebung, um Überlagerung der neuen Lehr-/Lernumgebung durch gewohntes Lehrer/innen–Schüler/innen-Verhältnis zu vermeiden

Zu beachten:

  • Größte zeitliche Herausforderung für außerschulische Lernorte!
  • Frühzeitige Terminabstimmung!
  • Frühe Erfahrung des außerschulischen Lernorts wichtig!
  • Abstimmung Frequenz sowie Art und Weise der Beteiligung von Fachpersonal!

Der Intensivkurs bedeutet auch für die außerschulischen Lernorte die größte zeitliche Herausforderung. Bei den Planungen sind die Termine frühzeitig aufeinander abzustimmen und es ist zu klären, zu welchen  Zeitpunkten an der Schule und zu welchem am außerschulischen Lernort gearbeitet wird. Erfahrungsgemäß ist eine frühe Einbindung des außerschulischen Lernorts in die Arbeitsroutine wichtig. Deshalb sollten die einführenden Veranstaltungen auf ein Minimum begrenzt und es sollte so bald wie möglich mit dem praktischen Arbeiten an den Lernorten begonnen werden. Es empfiehlt sich ebenfalls, regelmäßige Sitzungen abzuhalten, auf denen Rückmeldungen aller Beteiligten gesammelt und reflektiert werden. Die Frequenz, das heißt in welchem Rhythmus die Lernorte aufgesucht werden sollen, sowie die Art und Weise der Beteiligung des Personals der außerschulischen Lernorte müssen sehr früh abgestimmt werden. Bei der Zusammenarbeit mit Museen ist gerade bei größeren Häusern ein Vorlauf von mindestens einem Jahr erforderlich, sodass dort die entsprechenden Planungen getroffen werden können (dies betrifft nicht nur die Bereitstellung von Personal, Materialien und Räumlichkeiten, sondern vor allem die Integration der Schülerausstellung in das Programm des Museums).
Grundsätzlich empfiehlt sich bei den Intensivkursen, die Kooperationspartner jährlich zu variieren. Dies ermöglicht nicht nur ein größeres inhaltliches Spektrum in der Schule, sondern eröffnet auch den Partnern größere Planungsfreiheiten.


TIPP: Die Variation von Kooperationspartnern ist empfehlenswert.


INTEGRATION IN DIE LEHRE AN DEN HOCHSCHULEN

Bei Kooperationen mit Universität/Pädagogischer Hochschule ist zu erücksichtigen, dass die in diesem Format erbrachten Leistungen der Hochschullehrerinnen und -lehrer nicht auf das Deputat angerechnet werden können. Von Seiten der Hochschullehrerinnen und -lehrer ist deshalb die Option in Betracht zu ziehen, thematisch ähnlich ausgerichtete Lehrveranstaltungen anzubieten. Dies gäbe nicht nur den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, den studentischen Alltag kennenzulernen (die Teilnahme an zwei Sitzungen einer Lehrveranstaltung mit der Aufgabe, gemeinsam mit den Studierenden einen Diskussionsbeitrag zu entwickeln, hat sich als sehr fruchtbar erwiesen), sondern auch die Chance, Studierende in das Projekt zu integrieren. Gerade im Bereich der Vermittlung wissenschaftlicher Arbeitstechniken nehmen Studierende eine Schlüsselstellung ein. An der Universität Heidelberg könnte diese Rolle von Studierenden des Master of Education (M. Ed.) im Rahmen ihres Verschränkungsmoduls ausgefüllt werden. Auf diese Weise müssten Studierende sich nicht nur fachwissenschaftlich und fachdidaktisch mit einer Thematik auseinandersetzen, sondern erhielten gleichzeitig wichtige Praxiserfahrung im Umgang mit Schülerinnen und Schülern. Das Angebot von aufeinander abgestimmten Lehrveranstaltungen über zwei Semester hinweg erhöht die Chancen, Studierende auch für diesen längeren Zeitraum für die Projektarbeit zu gewinnen.


ERFAHRUNGSBERICHT

Das Format Intensivkurs wurde in dem Projekt ‚Denkwerk Mittelalter: Schüler erforschen gesellschaftlichen Wandel im Museum‘ erfolgreich erprobt. Ein ausführlicher Erfahrungsbericht mit weiteren Hinweisen auf die Durchführung findet sich auf dem Blog »Fokus Lehrerbildung« der HSE: Jörg Peltzer‚ ›Lernorte vernetzen – SchülerInnen erlernen (kunst)historisches Arbeiten in Schule, Universität und Museum‹.

LERNORTE VERKNÜPFEN

© Jörg Peltzer, 2017.

Jörg Peltzer ist Professor für Vergleichende Landesgeschichte in europäischer Perspektive
(Schwerpunkt Mittelalter) an der Universität Heidelberg.

2016/17 war er PLACE-Fellow an der Heidelberg School of Education (HSE), der gemeinsamen hochschulübergreifenden Einrichtung von Universität Heidelberg und Pädagogischer Hochschule Heidelberg.

Die HSE wurde von Oktober 2015 bis Dezember 2020 im Rahmen des Projekts „PLACE – Partizipation langfristig absichern, Chancen erweitern“ gefördert vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg.