SUSANNE ZIEGLER
ABSCHLUSSBERICHT
Die Gegenwart anderer Lebensformen kann als Bereicherung oder als Bedrohung der eigenen Lebensform wahrgenommen werden. Das Islambild in Deutschland ist vielfach negativ konnotiert, angstbesetzt und von Überheblichkeit gekennzeichnet. Das Forschungsprojekt nahm Islambilder theoretisch fundiert und praxisorientiert in den Blick. Unterrichtsentwürfe wurden konzipiert, Weiterbildungsangebote für Lehrer/innen entwickelt und der „Heidelberger Brücken-Tee“ als einzigartiger interkultureller Begegnungsort geschaffen.
Angesichts der unhintergehbaren Pluralität von Religionen und Lebensformen verortet der kanadische Philosoph Charles Taylor die Auseinandersetzung um „dichte Orientierungsmaßstäbe“ im Ringen um Identität und lebendige Teilhabe an Kultur (Taylor 1994). Ethisches Denken weiß um die Fragilität des eigenen Urteils und bringt eingespielte Vorstellungen in Bewegung. Das Profil ethischen Lernens geht aus der von Dietrich Ritschl eingeführten Unterscheidung von „Bleibend-Wichtigem“ und „Jetzt-Dringlichem“ hervor. Was das Bleibend-Wichtige ist, wird erkennbar aus und an den „stories“ der jüdisch-christlichen Überlieferung (Schoberth, 2017 und 2018; Krochmalnik 2017). Religiöse Bildung und interreligiöse Kompetenz leisten einen unverzichtbaren Beitrag zu der im Bildungsplan Baden-Württembergs verankerten Leitperspektive „Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt“. Wertorientierungen, kulturelle und transkulturelle Aspekte wurden in den erprobten Unterrichtsmodulen erforscht und reflektiert: „Meine Heimat schmeckt nach Honig – Identität und Vielfalt“ (Klasse 4) und „Wer ist Wir? #AuchIchBinDeutschland“ (Klasse 10). Darüber hinaus wurde nach der Rolle von Religion in den Konfliktfeldern von Terrorismus, Islamismus und Dschihadismus gefragt „Ist Religion friedensfähig?“ (Klasse 10) und der Sehnsucht nach Frieden Ausdruck verliehen. Die aus der Schulpraxis generierten Daten und Materialien wurden als Bildungsangebot für angehende und im Beruf stehende Lehrer/innen zur Verfügung gestellt, u. a. im „Workshop Interreligiöser Praxis“. Der in enger Zusammenarbeit einer christlichen und muslimischen Religionslehrerin durchgeführte Workshop zeigte auf, wie eine Haltung eingeübt werden kann, um Gemeinsamkeiten und Differenzen wertschätzend zu kommunizieren. Raum erhielt auch die Frage, inwiefern Irritation und Verunsicherung zum Lernprozess beitragen.
„Wer ist Wir?“ fragt Navid Kermani treffend und beschreibt Identität als eine Festlegung dessen, was in der Wirklichkeit vielfältiger, ambivalenter und durchlässiger ist (Kermani, 2010). Das „Wir“ einer offenen und vielfältigen Stadtkultur zu leben war die Zielsetzung des „Heidelberger Brücken-Tees“. Mit dem Projekt wurde im Rahmen des Forschungsjahres ein interkultureller und interreligiöser Begegnungsort geschaffen und dem Anliegen, Brücken zwischen Menschen zu bauen eine sichtbare Gestalt verliehen.
Die Konzeption und Projektentwicklung des Heidelberger Brücken-Tees fand in enger Zusammenarbeit der Heidelberg School of Education mit dem Verein Neckarorte e. V. statt. Das gemeinschaftliche Commitment stand im Vordergrund und verschiedene Akteure brachten sich ein, so die Initiative Heidelberger Muslime „Teilseiend“, die Freunde Arabischer Kunst und Kultur e. V. , engagierte Mitglieder Heidelberger Moscheegemeinden, das Kurfürst-Friedrich-Gymnasium Heidelberg, Studierende der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und das „Café Talk“.
Bei der Planung und Durchführung des Projektes „Brücken-Tee“ zeigte sich, wie sehr die Thematik „Islambilder“ den gesellschaftlichen Nerv trifft. In diesem interreligiösen und vielschichtigen Feld gilt es Ängste wahrzunehmen, Spannungen auszuhalten, Bedenken umsichtig aufzunehmen und politischem Druck standzuhalten.
LITERATUR
- Kermani, Navid. Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime, München 2010, 17.
- Krochmalnik, Daniel. „Intra- und interreligiöse Kompetenzen im Jüdischen Religionsunterricht”, in: Bernd Schröder, Harry Harun Behr, Katja Boehme, Daniel Krochmalnik (Hg.) Buchstabe und Geist. Vom Umgang mit Tora, Bibel und Koran im Religionsunterricht, Berlin 2017, 127–139.
- Schoberth, Ingrid. „Migration und ethische Bildung im Religionsunterricht“. Theo-Web 16 (2017), H.2, 111–120.
- Schoberth, Ingrid. Diskursräume religiösen Lernens. Göttingen 2018, 115–140.
- Taylor, Charles. Quellen des Selbst. Die Entstehung der neuzeitlichen Identität, Frankfurt a. M. 1994, 178.