Essay einmal anders

Unterrichtsbeispiel
von
  • Studierenden eines Deeper Learning Seminars von Prof. Dr. Anne Sliwka
Fach
  • Deutsch

DEEPER LEARNING AM KURFÜRST-FRIEDRICH-GYMNASIUM HEIDELBERG

Bild Deeper Learning Initiative Projektdoku Essay 12
Bild: © Elisa Adams

PROJEKTÜBERSICHT

THEMA

ESSAYISTIK ZUM RAHMENTHEMA „BILDUNG IN DER ZUKUNFT“

Essays sind in Baden-Württemberg im Bildungsplan verankert und eine Wahloption im Abitur. Das Rahmenthema „Bildung in der Zukunft“ wurde von den Studentinnen ausgewählt, da es vielfältige Umsetzungsmöglichkeiten und Verknüpfungspunkte für den Unterricht bietet und das Thema Bildung die Schüler:innen außerdem noch längere Zeit begleiten wird. „Bildung in der Zukunft“ wurde deshalb von den Studierenden als lebensweltnah und folglich als sinnvoll für die Unterrichtseinheit betrachtet. 

SCHULE UND PROJEKTKLASSE

  • Kurfürst-Friedrich-Gymnasium Heidelberg
  • 2 Deutsch-Kurse der Jahrgangsstufe 1
  • insgesamt 46 Schüler:innen

ZEITRAHMEN UND ABLAUF

  • 6 Doppelschulstunden
  • insgesamt 6 x 90 Minuten
  • Zeitraum vom 25.06. bis 18.07.2019

ABLAUF

Instruktionsphase Ko-Konstruktionsphase

Präsentations-/Reflexionsphase

1 Doppelstunde 4 Doppelstunden 1 Doppelstunde
25.06.2019 27.06.2019
02.07.2019
09.07.2019
16.07.2019
18.07.2019
Tiefes Verständnis des Schlüsselkonzeptes Essay Verfassen eines Essays, Entwicklung komplexer Kompetenzen durch eigenständiges Arbeiten in der Gruppe und Peer Review Präsentation der fertiggestellten Essays und Meta-Reflexion

BEGLEITSTUDIE

Die Studierenden führten im Anschluss an die Instruktionsphase und nach Abschluss des Projektes zwei Befragungen durch. Dafür scannten die Schüler:innen mit ihren Smartphones den entsprechenden QR-Code ein und beantworteten die Fragen online.
Da es sich um keine Vergleichsstudie und um subjektive Einschätzungen der Schüler:innen handelt, ist es schwer, Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Alle Schüler:innen gaben an, den Kern des Essays verstanden zu haben. 71,42 % gehen davon aus, durch den Unterricht einen Lernzuwachs erfahren zu haben. Die weiteren Ergebnisse der Studie variieren stark. Beispielsweise kamen einige Schüler:innen in der Gruppenarbeit mit dem Thema und dem Konzept gut zurecht, andere weniger.

PLANUNGSPHASE

STUDIERENDENGRUPPE

Für das Essay-Projekt fanden sich zu Beginn des Sommersemesters 2019 im Seminar „Universal Design for Learning und Deeper Learning“ von Frau Prof. Dr. Anne Sliwka am Institut für Bildungswissenschaft fünf Lehramtsstudentinnen als Projektgruppe zusammen. Vier der angehenden Lehrerinnen studierten Germanistik oder Deutsch als Fremdsprache. Alle fünf befanden sich zu dem Zeitpunkt am Ende ihres Studiums.

HOSPITATION IN DEN PROJEKTKLASSEN

Nachdem die Studierenden mit den Konzepten Deeper Learning und Universal Design for Learning vertraut waren, startete die Phase der Unterrichtsplanung. Um einen Eindruck von den Gegebenheiten in der Schule zu bekommen, die betreuenden Lehrerinnen kennenzulernen und die Schüler:innen ein erstes Mal zu sehen, hospitierten die Studentinnen zunächst in Kleingruppen im Deutschunterricht.

ARBEITSPROZESS IN EINER PROFESSIONELLEN LERNGEMEINSCHAFT

Die Planungsphase war geprägt von verschiedenen Brainstormings, vielseitigen Vorschlägen und persönlichen sowie digitalen Absprachen, einer Sammlung von infrage kommenden Essays und hilfreichem Feedback durch die Dozentin, die beiden Lehrerinnen des KFGs und die Kommiliton:innen des zweiten Projektes.

UNTERRICHTSPRAXIS IN DREI PHASEN

Nachdem das grobe Konzept und der genaue Plan für die erste Unterrichtsstunde entworfen waren, begann die Unterrichtspraxis. In sechs Doppelstunden (6 x 90 Minuten) im Zeitraum vom 25.06. bis 18.07.2019 wurde das Projekt durchgeführt. Die drei Phasen des Deeper Learning gliederten sich folgendermaßen auf: Eine Doppelstunde Instruktionsphase, vier Doppelstunden Ko-Konstruktionsphase sowie eine Doppelstunde Präsentationsphase und Reflexion des Projektes.

I. INSTRUKTIONSPHASE

Die Instruktionsphase wurde von den Studentinnen stark angeleitet und strukturiert. Die Schüler:innen lernten anhand des Inputs das Konzept Essay kennen und verstanden die Kerninhalte. Dafür erhielten sie von den Studierenden verschiedene Zugangsmöglichkeiten zum Thema.

UNTERRICHTSZIEL

Die Schüler:innen haben ein tiefes Verständnis über den Schlüsselbegriff Essay: Sie wissen, welche Charakteristika ein Essay besitzt, woran man eines erkennt und was das Essay von anderen Textsorten unterscheidet.

UNTERRICHTSABLAUF

EINFÜHRUNG INS THEMA

Der Fokus lag auf dem Verstehen des Schlüsselkonzeptes Essay. Die Studentinnen führten anhand eines Blumenstraußes in das Konzept ein. Dafür verteilten sie vor Unterrichtsbeginn bunte Blumen auf dem Boden  und jede:r Schüler:in durfte sich eine davon aussuchen. Im Anschluss sammelte eine der Studentinnen bestimmte Blumen ein und fügte sie zu einem Strauß zusammen. Andere wählte sie nicht aus oder entfernte sie wieder. Währenddessen kommentierte sie ihr Handeln. Auf die Frage, was der Blumenstrauß mit einem Essay gemein habe, antworteten die Schüler:innen sofort. Die Konzeption des Blumenstraußes entspreche der eines Essays: Verschiedene Aspekte eines Gesamtthemas würden erwähnt und zusammengefügt. Andere unpassende Aspekte würden nicht mit einbezogen.

Bild Deeper Learning Initiative Projektdoku Essay 2
Bild: © Thea Herde

ERARBEITUNG DER CHARAKTERISTIKA

Mithilfe eines Arbeitsblattes erarbeiteten die Schüler:innen in Kleingruppen anhand von drei Beispielessays die Charakteristika eines Essays. Alle drei bezogen sich auf  die „Bildung in der Zukunft“. Die Wahl der drei Essays fand aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit und ihrer verschiedenen Bezugspunkte zum Rahmenthema statt. Ziel war es, den Schüler:innen die formale Vielfalt von Essays bewusst zu machen und auch thematisch verschiedene Zugangsweisen zum Rahmenthema vorzustellen. Es gelang den Schüler:innen, die wesentlichen Aspekte herauszuarbeiten.

  • Franzen, Jonathan (2019): Das Ende vom Ende der Welt. Rowohlt Verlag: Reinbek bei Hamburg. S.45–52.
  • Domin, Hilde (1992): Gesammelte Essays. R. Piper GmbH & CO: München. S.256–261.
  • Hans Magnus Enzensberger (2012): Enzensbergers Panoptikum. Zwanzig Zehn-Minuten-Essays. Suhrkamp: Berlin. S.15–20.

ERGEBNISSICHERUNG

Im Anschluss an die Gruppenarbeit stellten die Schüler:innen die Inhalte der Texte kurz mündlich vor, da jede Gruppe sich nur mit einem der drei Essays beschäftigt hatte. Darauffolgend trugen die Studentinnen anhand der Schüler:innen-Beiträge die strukturellen Charakteristika der Essays an der Tafel zusammen. Anschließend besprachen sie das Ergebnis gemeinsam.

ABSCHLUSS DER INSTRUKTIONSPHASE

Jede:r Schüler:in erhielt eine Essay-Definition. Die Schüler:innen lasen diese vor und kommentierten sie anschließend kurz. An der Tafel fehlende Informationen wurden dabei ergänzt.


II. KO-KONSTRUKTIONSPHASE (4 DOPPELSTUNDEN)

In dieser Unterrichtsphase erarbeiteten die Schüler:innen eigenständig und kooperativ in Kleingruppen ein Essay zu dem von ihnen ausgewählten Unterthema des Rahmenthemas. Für themenbezogene Recherchen und den Schreibprozess standen den Schüler:innen die Computer und Laptops der Schule zur Verfügung.

UNTERTHEMEN

  • Digitale Bildung
  • Inklusion
  • Politische Bildung
  • Schule der Zukunft
  • Bildung für nachhaltige Entwicklung

UNTERRICHTSZIEL

Die Schüler:innen recherchieren zu dem von ihnen ausgewählten Thema und verfassen in Kleingruppen ein Essay, welches auf den gefundenen Informationen basiert. Durch ständiges Absprechen und Peer-Review lernen die Schüler:innen nicht nur ein Essay zu schreiben, sondern entwickeln außerdem komplexe Kompetenzen.

UNTERRICHTSABLAUF

1. Doppelstunde 27.06.2019 Gruppenfindung und Einarbeitung in das gewählte Unterthema
2. Doppelstunde 02.07.2019 Entstehung der ersten Textentwürfe auf der Internet-Plattform Zoho
3. Doppelstunde 09.07.2019 Peer-Review anhand der Kommentar- und Änderungen-nachverfolgen-Funktion in Zoho
4. Doppelstunde 16.07.2019 Letzte Korrekturen und Absenden der Endversion des Essays

1. DOPPELSTUNDE: GRUPPENFINDUNG UND EINARBEITUNG

Am 27.06.2019 klärten die Studierenden gemeinsam mit den Schüler:innen nach einer kurzen thematischen Wiederholung organisatorische Fragen und stellten anschließend das Rahmenthema „Bildung in der Zukunft“ und dessen Unterthemen vor. Im Anschluss an die interessenbezogene Gruppeneinteilung begann die eigenständige Arbeitsphase. Die themenbezogene Gruppenfindung führte dazu, dass sich die Kurse untereinander mischten. Jede Gruppe erstellte sich mindestens einen Account auf Zoho, um dort gemeinsam an dem Essay arbeiten zu können. Auf der Moodle-Plattform der Schule standen Dossiers für die jeweiligen Themen zur Verfügung. Vor Ende der Stunde und als Hausaufgabe wurde zum Thema recherchiert und die Dossiers wurden somit ergänzt.

2. DOPPELSTUNDE: ERSTE TEXTENTWÜRFE

In der Doppelstunde am 02.07.2019 wurden zunächst die Dossiers mit recherchierten Informationen ergänzt. Anschließend entstanden die ersten Textentwürfe auf Zoho. Auf diese Weise konnten alle Gruppenmitglieder zu jeder Zeit auf das Dokument zugreifen und es ergänzen oder bearbeiten. Durch die Aktivierung der Funktion „Änderungen nachverfolgen“ konnte nachvollzogen werden, wer etwas geändert hat und dank der Kommentarfunktion konnten sowohl inhaltliche als auch strukturelle oder grammatikalische Diskussionen stattfinden. Die Lehrkräfte und Studentinnen konnten außerdem die Fortschritte im Schreibprozess nachvollziehen, da auch sie einen Zugang zu den Dokumenten hatten.

3. DOPPELSTUNDE: PEER-REVIEW

Am 09.07.2019 stand das gegenseitige Feedback an. Jeder Gruppe wurde das Zoho-Dokument einer anderen Gruppe freigeschaltet. Anhand der Korrektur- und Kommentarfunktion des Programms wurden Rückmeldungen gegeben, Fehler korrigiert und Verbesserungsvorschläge angeboten. Auch inhaltlich wurde hin und wieder munter in den Kommentaren diskutiert. In den darauffolgenden Tagen gaben auch die Studentinnen über die Kommentarfunktion in Zoho ihre Rückmeldungen.

4. DOPPELSTUNDE: LETZTE KORREKTUREN

In der Folgestunde am 16.07.2019 war die Einarbeitung der Korrekturen aus dem Peer-Review angesagt. Die Korrekturen und Vorschläge der Mitschüler:innen wurden größtenteils übernommen und das Essay wurde fertig gestellt. Bis 18 Uhr musste es an die beiden Mitschüler, die die Projekt-Homepage erstellten, gesendet werden. Abends wurden alle Essays in die Homepage eingefügt.


III. PRÄSENTATIONS- UND REFLEXIONSPHASE

Im Anschluss an die Gruppenarbeit folgte die dritte Phase des Deeper Learning: Die Präsentations- und Reflexionsphase. Gemeinsam wurde die fertige Homepage betrachtet und danach die Unterrichtseinheit und der Lernerfolg reflektiert.

UNTERRICHTSZIEL

Die Schüler:innen präsentieren ihre Ergebnisse in der Klasse und bieten, falls möglich, auch der Öffentlichkeit einen Zugang dazu. Anschließend reflektieren sie das Unterrichtskonzept und ihren Lernerfolg.

UNTERRICHTSABLAUF

ART DER PRÄSENTATION

Die Studentinnen schlugen zwei Ideen für die Ergebnispräsentation vor: Erstens, die Veröffentlichung der Essays in einem gedruckten Buch und zweitens die Erstellung einer eigenen Homepage. Die Schüler:innen hatten keine weiteren Vorschläge. Sie entschieden sich per Abstimmung für die Veröffentlichung auf einer eigens designten Homepage.

Da die Präsentation aller Essays im Unterricht zu umfangreich gewesen wäre, suchten die Studentinnen einige Zitate heraus und verteilten diese an die Schüler:innen. Diese lasen ihr Zitat vor und ordneten es den Kategorien Einleitung, Hauptteil /Exkurs und Schlussteil zu.

ART DER REFLEXION

Die Reflexion erfolgte in drei Phasen:

1. Individuelle Reflexion und Beschriftung von vier Farbzetteln

Die Themen der Farbzettel:

  • Das hat mir gut am Unterrichtskonzept gefallen. > grün
  • Das könnte man am Unterrichtskonzept verbessern. > rot
  • Das habe ich gelernt (über mich, über mein Thema, über die Thematik). > gelb
  • Das hätte ich besser machen können. > blau

2. Gruppenreflexion in den Teams, die gemeinsam ein Essay geschrieben haben; anschließend Vergleich und Besprechung der individuellen Reflexionsergebnisse

3. Gemeinsame Reflexion mit allen Kursteilnehmer:innen und Lehrkräften; die Zettel wurden nach Farben sortiert auf dem Boden innerhalb eines Stehkreises gesammelt und besprochen.


NACHBEREITUNG

Am 18.07.2019 fand in den Räumen des Instituts für Bildungswissenschaft ein Treffen der Studierenden des Seminars von Frau Sliwka, die die beiden Schulprojekte durchgeführt haben, mit verschiedenen interessierten Lehrkräften aus unterschiedlichen Schulen sowie mit Frau Sliwka statt. Ziel dieser Veranstaltung war die Vorstellung der Projekte und die Bekanntmachung von Deeper Learning. Gemeinsam wurde darüber diskutiert, wie Unterricht in Zukunft aussehen könne und solle. Das erfolgreiche Essay Projekt diente dabei als Beispiel für zukünftigen lebensnahen und Selbstständigkeit fördernden Unterricht, der digitale Medien zeitgemäß einbindet.


VERANKERUNG IM BILDUNGSPLAN

Das vorgestellte Projekt unterscheidet sich in seinem Ablauf und seinen Methoden vom herkömmlichen Unterricht. Dennoch entspricht diese Unterrichtseinheit rundum den Vorschriften des Bildungsplans. Einige Aspekte werden im Folgenden genannt.

DAS ESSAY ALS „ZENTRALE SCHREIBFORM“

Das Essay wird im Bildungsplan als „[z]entrale Schreibform“ für die Bearbeitung von literarischen Texten (3.4.1.1) und Sach- und Gebrauchstexten (3.4.1.2) genannt. Das Basisthema „Essay“ der Deeper-Learning-Einheit ist somit zentral im Bildungsplan verankert.

PROZESSBEZOGENE KOMPETENZEN

Mit der Unterrichtseinheit werden alle vier „Prozessbezogene[n] Kompetenzen“ (Sprechen, Zuhören, Schreiben und Lesen), die im Bildungsplan unter 1.2 in Bezug auf das Fach Deutsch aufgeführt werden, gefördert.

LEITKOMPETENZEN

Auch thematisch lässt sich das Projekt in den Bildungsplan einordnen: Alle sechs im Bildungsplan genannten Leitperspektiven „Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)“, „Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt (BTV)“, „Prävention und Gesundheitsförderung (PG)“, „Berufliche Orientierung (BO)“ , „Medienbildung (MB)“ und „Verbraucherbildung (VB)“ (S. 3 ff) lassen sich unter dem Begriff „Bildung in der Zukunft“ zusammenfassen. Obwohl nicht all diese Themen von den Schüler:innen in ihren Essays aufgegriffen wurden, besteht dafür trotzdem die Möglichkeit. In zukünftigen Projekten könnten sie im Rahmen dieser Unterrichtseinheit realisiert werden.

DIGITALE BILDUNG

Das Thema Medien und deren konstruktiver Einsatz wird im Bildungsplan ausführlich erläutert (Vgl. S. 8). Durch die Benutzung verschiedener Internet-Plattformen (Zoho, Moodle, Jimdo) und das Schreiben der Essays am Computer stimmen auch die gewählten Medien mit dem Bildungsplan überein.